[HH] Brief aus dem U-Knast Holstenglacis

[HH] Brief aus dem U-Knast Holstenglacis

Samstag, 10.08.19 –

Hallo da draußen!

Nun ist es schon etwas mehr als einen Monat her, dass wir 3 von der Parkbank wegverhaftet und im weiteren Verlauf 2 von uns in U-Haft genommen wurden. In diesem Brief möchte ich ein wenig meine individuelle Situation hier im Knast schildern. Zu den Vorwürfe, dem Stand des Verfahrens kann ich nichts sagen, da wir Betroffenen nicht untereinander kommunizieren können. Ich kann mich dem Rat, sich nicht auf Spekulationen, Tratsch und Panikmache einzulassen, nur anschliessen. Das was hier drinnen an Solidarität und Unterstützung ankommt ist wundervoll und überwältigend. Die viele Post, die Grussworte, die Fotos und die Kundgebungen spenden Kraft und Zuversicht. Ihr seid grossartig!

Nun also U-Haft. Das bedeutet hier, zumindest in den ersten Monaten, 23 Stunden Einschluss auf 10 Quadratmetern mit Bett, Tisch, Stuhl, Schrank, Klo und Waschbecken. 1 Stunde Hofgang in meinem Fall zusammen mit den anderen Gefangenen auf meinem Stockwerk, abwechselnd morgens oder nachmittags. Geweckt wir um 06:30 mittels schriller Alarmglocke, Mittag gibt es um 11:30, Abendbrot wird um 16:30 ausgeteilt, welches auch für das Frühstück reichen muss, morgens gibt es lediglich heisses Wasser oder Tee. Die Verpflegung reicht meist aus, um einigermassen satt über die Runden zu kommen, wer sich aber annähernd ausgewogen ernähren will, ist auf Einkäufe beim Anstaltskaufmann angewiesen. Jeden Mittwoch werden deutschsprachige Bestell-Listen ausgeteilt und am nächsten Tag eingesammelt. Samstag holt man dann seine Bestellung ab. Bezahlt wird der nicht gerade preiswerte Kram vom Geld auf dem persönlichen Haftkonto. Darauf kommt das Geld, dass sich bei der Einlieferung in den Taschen befand, von draussen überwiesene Kohle und der lausige Lohn, falls man während der U-Haft arbeitet. Im Gegensatz zur Strafhaft ist Arbeit kein Zwang und man arbeitet im Grunde im Knastbetrieb – Küche, Hausarbeit, Malerarbeiten, Wäschekammer…

Andere „Vergünstigungen“ – ein Mietradio, Mietfernseher, Teilnahme an Sportgruppen, Gesprächskreisen, Kursen usw. müssen bei der Anstaltsleitung beantragt werden und naklar funktioniert die gesamte Knastbürokratie nur auf deutsch. Die Bearbeitung dieser Anträge dauert mindestens einige Wochen. Die Beamtinnen und Beamten sind ausgesprochen kurz angebunden, jede Information zum Knastalltag muss ihnen aus der Nase gezogen werden, Fragen werden eher entnervt und widerwillig beantwortet, Englisch sprechen nur wenige.

Die Aufnahmeprozedur inklusive nackter Kniebeugen, erster Nacht auf der „Beobachtungsstation“, wo einem die Zivilkleidung genommen wird, in einer Zelle in der das Licht über die Nacht anbleibt und verwirrenden Marathon durch die Anstalt, hat den Charakter einer Initation, die einem klarmachen soll, dass man ab jetzt nunmehr ein zu verwaltender Teil eines justiziellen Vorgangs ist, und nichts mehr. Eine erniedrigende Erfahrung. Nach der Nacht auf der Beobachtungsstation bekommt man seine private Kleidung zurück, das ist wohl ein kleiner Sonderfall, in vielen anderen U-Haft-Anstalten ist Anstaltskleidung üblich.

Die klare Mehrzahl der Leuten, die ich hier kennenlerne wird wegen Drogendelikten oder eben sog. Beschaffungs-Delikten eingesperrt und hat entweder keinen deutschen Pass oder neben dem deutschen noch eine weitere Staatsbürgerschaft, womit dann eben Fluchtgefahr begründet wird. Die nicht deutschsprachigen Gefangenen sind häufig einer herablassenden Ignoranz seitens der Bediensteten ausgesetzt, die nicht selten rassistische Untertöne transportiert. Die Knastbürokratie war schon für mich, der ich an deutschen Ordnungswahn gewöhnt bin, in den ersten Tage sehr undurchsichtig. Es wird völlig offensichtlich, dass der vorgebliche juristische Zweck der U-Haft, die Betroffenen im Sinne der „Verfahrenssicherung“ an Ort und Stelle zu wissen, nur einen Aspekt des Nutzens der U-Haft darstellt.

Worum es bei diesen schikanösen Bedingungen, deren Umfang ich hier nur im Ansatz beschreiben kann, geht ist eindeutig die maximale Verunsicherung, Erniedrigung, Vereinzelung und Disziplinierung. Das gilt eben insbesondere für die ersten Wochen – bis man hier telefonieren kann, Briefe schreiben, Besuch empfangen kann, gehen erstmal viele Tage ins Land, die man hier eben mit Stift und Zettel 23 Stunden sich selbst überlassen ist. Die frühstmögliche Gelegenheit rauszukommen ist stets erst zwei Wochen nach Inhaftierung. Keine Überraschung also, dass gerade diese ersten Wochen der Knast zu einer hervorragend funktionierenden Fabrik für (häufig falsche) Beschuldigungen, (häufig vorschnelle) Geständnisse und damit (für den Staat) erfolgreiche Verurteilungen macht. So legitimiert sich dieses System stetig selbst. Neben den Leuten, die hier während des laufenden Verfahrens eingesperrt werden und häufig schnell wieder rauskommen, weil sie gestehen, verraten oder die Haftprüfung gnädiger ausfällt, treffe ich hier viele Verurteilte, die Geldstrafen in Form von sogenannter Ersatzfreiheitsstrafe verbüssen. Wer eine Geldstrafe nicht zahlt, bekommt irgendwann einen Haftbefehl und bei der nächsten Polizeikontrolle geht‘s dann rein. Ein Tag in Haft entspricht dann einem festgesetzten Tagessatz, ich habe hier Zahlen zwischen 6 – 10 Euro am Tag gehört. Wer Glück hat, erreicht Freunde oder Angehörige, die dann die ganze Strafe oder zumindest einen Teil zahlen, das kann wohl angerechnet werden. Wer niemanden hat, sitzt die Schulden zu U-Haftbedingungen ab. Arbeiten dürfen Leute in Ersatzhaft nicht, auch wenn das viele wollen, um den Hungerlohn gegen ein paar Tage Freiheit zu tauschen.

Die Liste an möglichen Beispielen, Anekdoten, die nur wütend machen können, ist natürlich entsprechend lang und würde diesen Rahmen sprengen.

 

Wer hier genauer hinsieht muss feststellen, dass die oft formulierte These, der Knast sei ein Spiegel der Gesellschaft, ohne Zweifel stimmt. Nicht nur begegne ich hier natürlich der gleichen Niedertracht, dem gleichen Rassismus, der gleichen Entsolidarisierung und Gleichgültigkeit, die draussen zu finden ist. Ebenso begegnet man hier eben den gleichen Mechanismen von Ausschluss, Privilegien, Disziplinierung, Zwang und Ausbeutung, die in der Ordnung dieser Welt so tragenden Charakter haben, eben brennglasartig konzentriert, als sollte den hier Eingekerkerten wie in einem Intensivkurs eingeimpft werden, wie der Hase eigentlich zu laufen hat.

Dass sich Begriffe, wie der der Eingliederung, der Disziplin (oder Disziplinarmassnahmen) oder guter Führung, die sich in so ziemlich jeder Zwangsinstitution dieser Gesellschaft, seien es die Schule, das Amt, die Arbeit, die Sozialarbeit (in vielen Fällen, sicher nicht allen) oder eben dem Gefängnis wiederfinden und durchwegs militärischen Ursprung sind, entlarvt, dass keiner dieser Aspekte der Herrschaft und Kontrolle isoliert von anderen Massnahmen betrachtet werden kann.

Wer ein grundsätzliches Problem mit Autorität und Herrschaft hat, wenn nicht bloss eine ideologisch anders verfasste Variante einer von Zwang und Disziplinierung geprägter Gesellschaft im Sinn hat, sollte von diesen Zusammenhängen nicht schweigen.

Wenn der Staat uns als Gegner seiner Herrschaft einsperrt, dann tut er das aus den gleichen Motiven, aus denen er darauf besteht, die Obdachlosen einzuknasten, die ihre Geldstrafe wegen ner gezockten Pulle Vodka beim Penny nicht gezahlt haben oder dem, der mit einer Grasplantage und den Nachnamen der falschen „arabischen Grossfamilie“ zu einer ungleich höheren Strafe verknackt wird als sein blonder Komplize.

Sich mit einzelnen Inhaftierten unterschiedlich verbunden, eben solidarisch zu fühlen, ist nachvollziehbar und für mich ein grundsätzliches Element tatsächlicher Solidarität, die für mich einen gegenseitigen Charakter leben muss. Einer Kultur der Gefangenenunterstützung und des Supports von Repression Betroffener würde es dennoch gut zu Gesicht stehen, sie mehr zum Teil einer allgemeinen Analyse der Herrschaftsverhältnisse zu machen, in deren Kontext die Angriffe des Staates stattfinden.

Unsere Inhaftierung ist keine singuläre Ungerechtigkeit, sondern eine notwendige Konsequenz der Logik, nach der diese Welt funktioniert. Und mit dieser Lokig sollten wir brechen, um der Befreiung aller willen!

Eine herzliche, solidarische Umarmung! Bis alle frei sind! Einer von der PB.

quelle: de.indymedia.org
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