Brief aus der UHA Holstenglacis – Über Suizide im Knast

Brief aus der UHA Holstenglacis – Über Suizide im Knast –

!! ACHTUNG: Wie im Titel angekündigt, handelt folgender aufschlussreicher Bericht insbesondere von Suiziden im Knast !!

Wir sollten niemals diejenigen vergessen, die weggesperrt werden. Wir dürfen nicht aufhören, gegen die Knäste zu kämpfen sowie die Welt, die sie braucht.

Oktober 2019

Vor einigen Wochen hat ein eingesperrter Mensch im Untersuchungsknast Holstenglacis versucht, sich das Leben zu nehmen. Beim Hofgang drang diese schwer zu ertragende Nachricht erst als Gerücht an mein Ohr. „da oben, in der Zelle neben deiner alten“ und tatsächlich, am Fenstergitter noch ein Rest des aus der kratzigen, braunen Decke improvisierten Stricks. „Selbst, wenn’s so wäre, ich dürfte es Ihnen nicht sagen, aber es ist niemand gestorben …“ so beantwortete der Beamte meine Nachfrage … Kurz war mir schwarz vor Augen, ein leichtes Taumeln, Herzklopfen, Symptome hilfloser Wut. Fühlte ich mich schon draußen durchaus denen nah, die diese Welt nicht mehr aushalten, ist die Konfrontation mit diesem drastischsten Ausdruck völliger Verzweiflung hier noch brutaler … hier kennen alle den Druck, den Schock, den der kalte Apparat mit seinen dreiundzwanzig Stunden Einschluss, der entwürdigenden Behandlung und der offensiv vermittelten Ausweglosigkeit auslöst. In den ersten Wochen soll gebrochen, unterworfen, Geständnis oder Verrat erpresst werden. Wer es nicht aushält, wer sich aufbäumt, wird bestraft – egal, ob sich die Verzweiflung gegen die Uniformierten, das Mobiliar oder den eigenen Körper richtet. Wer sich den systematisch hergestellten emotionalen Ausnahmezustand anmerken lässt, erfährt die einzige Zuwendung, zu der der Knast imstande ist – Isolation, gesonderte Beobachtung, Sedierung, wenn für nötig befunden, auch unter Zwang. Die Botschaft ist klar: fortan bestimmt die Justiz über deinen Körper, selbst der Grad deiner Verzweiflung ist reglementiert. Wer die Bedingungen hier kennt, der versteht, dass einem hier unter bestimmten Voraussetzungen der Lebensmut verlassen kann. Es braucht durchaus ein hohes Maß an Selbstbewusstsein und gewissen Kampfgeist, um nicht den Kopf zu verlieren.

In Hamburger Knästen haben sich im Jahr 2017 vier Menschen das Leben genommen, die Suizidversuche sind nicht öffentlich dokumentiert. In Deutschland nehmen sich jährlich ungefähr 80 Menschen in Haft das Leben, die absolute Mehrheit direkt nach ihrer Inhaftierung, beim ersten Mal Knast. Eine Umfrage ergab, dass 20% der U-Häftlinge innerhalb der ersten zwei Haftwochen Suizidgedanken gehegt hätten. Ganz unverblümt sprechen Gefängnispsycholog*innen vom „Haftschock“. (Quelle: DLF-Radiofeature, https://www.deutschlandfunk.de/strafvollzug-erhoehtes-suizidrisiko-bei-i…)
Dass sich trotz all dieser Zahlen am „Normalvollzug“ nichts ändert und stattdessen in technische Maßnahmen zur Verhinderung von Suiziden investiert wird, offenbart einmal mehr Charakter und Motivation des Gefängnisses.

Wem zum Beispiel in Frankfurt am Main „Selbstgefährdung“ zugeschrieben wird, der bekommt papierne Haftkleidung und wird in einen Raum gesperrt, den eine*r Beamte*r durch eine einseitig verspiegelte Scheibe überwachen kann. In anderen Bundesländern wird die Installation von Kameras diskutiert, die mittels künstlicher Intelligenz Bewegungen detektieren sollen, die als „suizidtypisch“ gelten, um dann Alarm zu schlagen.
Wem der Knast den Lebensmut raubt, dem wird auch noch der letzte Rest Würde aberkannt.
Auf die Behörden, die Justiz ist in dieser Frage genauso wenig zu setzen, wie in allen anderen.
Wir sind darauf angewiesen, einander zu unterstützen. Drinnen kann das heißen, Mitgefangene, die beim Hofgang alleine gehen anzusprechen, ihnen Hilfe anzubieten. Die Möglichkeiten sind vielfältig, in Absprache kann man sich un Anwält*innen kümmern. Druck bei den Bediensteten machen, man kann sich am Fenster zum Quatschen verabreden … ich denke, dass schon ein bisschen solidarische Zuwendung, die das Alleinsein schmälert, viel bewirken kann.
Draußen kann das heißen, sich mit den Menschen, die einem nahestehen schon Gedanken zu machen, was im Falle einer Festnahme passieren, worum sich gekümmert werden soll. Mir hat es sehr geholfen, sehr schnell mitgeteilt zu bekommen, dass sich um alles gekümmert wird.

Ich bin überzeugt, dass es im Gefängnis keine tatsächlichen Selbstmorde gibt – so wie es „draußen“ sehr häufig ökonomische oder sonstwie strukturelle und systemisch bedingte Krisen sind, die Menschen den Lebensmut nehmen, sind es „drinnen“ ganz sicher die Umstände der Gefangenenschaft.

Wir sollten niemals diejenigen vergessen, die weggesperrt werden. Wir dürfen nicht aufhören, gegen die Knäste zu kämpfen sowie die Welt, die sie braucht.

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