Brief aus der sozialen Quarantäne

Brief aus der sozialen Quarantäne – 22.03.2020

– Die folgenden Zeilen sind lediglich eine Momentaufnahme, verfasst am Sonntag, den 22.03. im Untersuchungsgefängnis Holstenglacis in Hamburg. Vieles wird sich geändert haben, wenn ihr diese Worte lest, manche Einschätzung und Information wird überholt sein. Ich habe aber nicht die Möglichkeit in „Echtzeit“ zu kommunizieren – deswegen jedoch nicht zu kommunizieren kann auch keine Option sein.

Die Welt befindet sich in weitreichendem Ausnahmezustand. Leider nicht im Zuge der sozialen Revolution, sondern wegen Sars-Covid-2.
Verunsicherung und Angst kehren zumeist zunächst das Hässliche in den Menschen heraus – der Ruf nach „starker Führung“, nach autoritärem „Durchgreifen“ einerseits, das gegenseitige Misstrauen, den denunziantischen Reflex bis hin zum stumpfen Rassismus andererseits. Das ist keineswegs eine „natürliche Reaktion“. Sondern seit Jahrhunderten in die Köpfe der Unterworfenen gemeisselte Methode zur Sicherung der Herrschaft. Ich will kein verschwörungstheoretisches Raunen schüren – virologische Erkrankungen sind biologische Tatsachen. Doch dass Angst und Verunsicherung bewährte Praxen des Ausbaus von Mechanismen der Kontrolle (und des Rückbaus erkämpfter Zugeständnisse) sind, ist eben auch Tatsache, historische allerdings.

Und die Früchte, die die Autoritäten unter den Vorzeichen der Virusbekämpfung zu ernten gedenken zeichnen sich vielerorts bereits ab. Ausgangsbeschränkungen, die Ortung von Mobiltelefonen, der Lockdown kompletter Regionen… die Liste ist lang. Auch die Rolle, die digitalen Kommunikationsplattformen dieser Tage zukommt, lohnt sicher näherer Betrachtung. Nun befinde ich mich allerdings quasi im staatlich verordneten Digital Detox und will im Folgenden also ein wenig von der Situation hier im Gefängnis berichten. Über einen „Mangel an starker Führung“ können sich Insassen von Einsperrenden Institutionen ja eher nicht beklagen. Seit bald neun Monaten erlebe ich was es heißt, zu einem justiziellen Verwaltungsakt degradiert zu werden. Eine Erfahrung, die ich mit all jenen teile, die ebenfalls einer einsperrenden Institution unterworfen sind – seien es sogenannte „Lager“, Haftanstalten oder Psychiatrien.

Der Staat in Form einer bürokratisch verwaltenden Justiz hat permanenten Zugriff auf meinen Körper, bestimmt faktisch über jeden Schritt, den ich tue, eben auch über jedes Zugeständnis an „Selbstbestimmung“. Das bedeutet einen permanenten Kampf um die individuelle Integrität, die selbstbestimmten Beziehungen, die revolutionäre Identität.

Seit ungefähr einer Woche hat sich das allgemeine Regime hier im Zuge der „Corona-Krise“ abermals verschärft. Zunächst herrschte bei Besuchen ein Verbot körperlichen Kontakts und sämtliche Aktivitäten, die einen traktübergreifenden Austausch unter den Gefangenen möglich machten, wurden gestrichen – religiöse Angebote, Sportgruppen, Sprachkurse und so weiter. Die Beamt*innen schweigen sich ohnehin prinzipiell über die Situation in anderen Teilen des Knastes aus – so haben wir zum Beispiel von einem Suizidversuch auf einer anderen Station vor ein paar Monaten nur durch andere Gefangene erfahren.

Mittlerweile wurden die Besuchsmöglichkeiten noch weiter eingeschränkt. Waren bislang noch monatlich 2×1 Stunde mit bis zu drei Personen möglich, ohne Trennscheibe, gilt seit drei Tagen eine Reduktion auf monatlich 2x ½  Stunde mit nur einer erwachsenen Person und gegebenenfalls zwei Kindern unter 14 Jahren – mit Trennscheibe. Auch Besuche durch Verteidiger*innen sind beschränkt worden. Soweit ich das derzeit überblicken kann, finden diese auch nur noch mit Trennscheibe statt.

Die Situation in dem Trakt, auf dem ich eingesperrt bin, gestaltet sich derzeit noch belastender. Am Dienstag, den 17.03. berichtete ein Mitgefangener von Grippesymptomen. Seitdem befinden sich die beiden Stockwerke, die gemeinsam Hofgang hatten unter Quarantäne. An den Türen zu den Fluren hängen Zettel: „Covid19-Verdacht-Quarantäne-Keine Gefangenenbewegung“ – hier liegt wohl kein zynischer Scherz der ziemlich humorlosen Anstaltsleitung vor, sie behält aber Recht in der Doppeldeutigkeit.

Für uns bedeutet das derzeit 24 Stunden Einschluss in der Zelle, kein Hofgang. Auch die Benutzung der Dusche wird versagt – wobei es auf den Zellen (alles Einzelzellen) kein warmes Wasser gibt, lediglich ein Waschbecken. Begründet werden solche Unmöglichkeiten mit vorgeblichem Zeitmangel. Eine Desinfektion der Duschen zwischen jeder Benutzung – schlicht nicht zu machen. Konsequenterweise fand der wöchentliche Einkauf dann aber ohne besondere Maßnahmen zur Infektionsvermeidung statt, wir wurden lediglich einzeln zur Abholung der Bestellungen geholt. Da war die Sorge vor den Diskussionen mit den Rauchern wohl größer als die grassierende Faulheit. Immerhin, denkt man da fast.
Sämtliche Anordnungen werden mit der gewohnten Empathielosigkeit durchgezogen. Die Kommunikation wird auf ein Minimum beschränkt, lediglich auch hartnäckige Nachfragen hin gibt es vage Informationen. Angeblich wird immernoch auf das Ergebnis eines Tests gewartet. Die Labore seien überlastet, es könne unbestimmte Zeit dauern.

Nun gibt es keine Möglichkeit das zu überprüfen – und das allgemeine Vertrauen in schließerseitige Informationen ist nicht sehr groß, da sich nicht selten widerwillige, beschwichtigende Antworten als (Not)Lügen oder Halbwissen herausgestellt haben. Besonders hart trifft diese verbreitete Nicht-Informationspolitik wie immer die nicht deutschsprachigen Gefangenen, die sich mit Ansagen wie „Nix Freizeit – Quarantäne – Corona!“ konfrontiert sehen.

Verteidiger*innen-Besuche sind für unter Quarantäne gestellte Gefangene untersagt, Kommunikation ist lediglich per Post oder über das teure auf eine Stunde im Monat beschränkte Telefon möglich.

Das ist vorerst eine knappe Beschreibung der für mich wahrnehmbaren Situation und deswegen ist sie sicher nicht vollständig und es ist möglich, dass knastseitige Informationen nicht (ganz) stimmen.
Thomas Meyer-Falk hat bereits von den Freiburger Zuständen berichtet. In der Süddeutschen wurde am 20.03. behauptet, es gäbe in den JVA‘s noch keinen bestätigten Covid19-Fall. Allen jedenfalls, von denen ich hier im Trakt weiß, geht es gesundheitlich soweit gut – inklusive meiner selbst und der als „Verdachtsfall“ eingestuften Person. Aus den sporadischen Gesprächen am Fenster ist aber zu erfahren, dass es vielen psychisch durchaus an die Substanz geht.

Die Situation in den Knästen und einsperrenden Institutionen überall dürfte sich auf ähnliche Weise verschärfen, wie die Revolten in Italien gezeigt haben. Vergessen wir also bei all dem Trubel nicht die Gefangenen und ihre Angehörigen.

Es ist offensichtlich, dass von den Behörden keine „humanere“ Behandlung zu erwarten ist – die hier stattfindende Praxis ist vielmehr notwendige Konsequenz der entmenschlichenden Logik bürokratischer Verwaltung und Einsperrung, die grundsätzlich beseitigt gehört.

Mir ist es wichtig zu betonen, dass es ein Fehler wäre, in diesen Tagen Solidarität und gegenseitige Hilfe mit Gehorsam gleichzusetzen und diese Begriffe so widerspruchslos den Autoritäten zu überlassen.
Es gibt nichts zu relativieren, doch:
Das tödlichste Virus ist und bleibt die Herrschaft, die Therapie heißt Revolte.
Bis alle frei sind.

– U-Knast Holstenglacis, 22.03.2020 –

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